Projektstatus: fertiggestellt
«Eine zeitgenössische Interpretation eines Walserhauses»
Michael Kindle, Architekt
Das architektonische Konzept
Die Walser wussten, wie man sich die Topografie zu Nutzen machen kann – und dies auf eine ganz einfache, aber logische Art. Das gilt auch für die Häuser, die sie bauten.
Ihre Schönheit liegt auch darin, dass sie wie selbstverständlich in der Topografie stehen - und weil sie mit einfachen Mitteln aus Materialien aus ihrer Umgebung gebaut sind.
Während bei Wohnhäusern (im Gegensatz zu wichtigen Gebäuden wie Kirche, Pfarrhaus, Rathaus, usw.) hauptsächlich das Material Holz zum Einsatz kam, war es bei den erdberührten Gebäudeteilen naheliegend, dass diese aus Stein gebaut werden, um dauerhaft bestehen zu können. Weil es auch umständlicher gewesen wäre, die Häuser ganz aus Stein zu bauen, wie dies an anderen Orten oft zu sehen ist, wurde das Material Stein nur in den Bereichen eingesetzt, in denen es für die Dauerhaftigkeit auch wirklich nötig ist.
Der Rest des Hauses wurde dann aus Holz – üblicherweise als Strickbau (auch Blockbau genannt) – auf diesen Sockel aus Stein ‘gesetzt’.
Durch die wegen des steilen Geländes oft auftretende ‘Abtreppung’ des Sockels, damit nicht ganze Geschosse aus Stein gebaut werden mussten, ‘schmiegen’ sich die Häuser bis heute wie selbstverständlich an das Gelände.
Mit diesem Bild des Walserhauses im Kopf haben wir mit dem Entwurf des Wohnhauses begonnen. Das Ziel war, die Wünsche und Bedürfnisse von Tanja und Mario Sele mit diesem Konzept zu vereinen und eine zeitgenössische Interpretation eines Walserhauses sollte entstehen – mit einem modernen Wohnkonzept, das darin untergebracht ist.
Der architektonische Ausdruck
So wie es bei den alten Walserhäusern der Fall ist, sollte es auch bei diesem modernen Haus sein: In der Fassade soll sich abzeichnen, welche Teile des Gebäudes massiv und welche in Holz gebaut sind. Die vorvergraute Holzfassade zeigt, in welchem Bereich das Haus aus Holz besteht – der grobkörnig verputzte Sockel zeigt den massiven (betonierten) Teil.
Auch innen ist durch die lasierten Holzdecken, die insbesondere im grosszügigen Wohn-Essbereich an eine Holz-Kassettendecke erinnert, erkennbar, in welchem Bereich das Haus aus Holz gebaut ist.
Weil es der Bauherrschaft wichtig war, dass die Holzfassade nicht ungleichmässig verwittert, haben wir uns für eine Vorvergrauung entschieden, die dem Holz den Charakter einer bereits verwitterten Fassade gibt, diese aber besser kontrollierbar ist, als die ‘natürliche’ Verwitterung – und vor allem schon vom ersten Tag an dieses Bild erzeugt wird, ohne Jahre warten zu müssen, bis das Holz seine natürliche ‘Patina’ erhält.
Um einer Verwitterung der Fassade weiter entgegenzuwirken – und damit auch eine möglichst hohe Langlebigkeit der Fassade zu erreichen – haben wir uns für ein grosses Vordach entschieden. Dieses trägt mit seinen in der Untersicht des Vordaches sichtbaren Stichern wesentlich zum Erscheinungsbild des Hauses bei. Sie erinnern an ein Pfettendach, wie dies bei älteren Gebäuden aus Holz oft zu sehen ist.
Damit ist das Haus nicht nur nachhaltig, weil es aus nachhaltigen Materialien gebaut ist, sondern auch, weil es durch den konstruktiven Holzschutz (Vordach) lange Bestand haben wird.
Die PV-Indachanlage und die Haustechnik tragen dem Wunsch der Bauherrschaft, ein nachhaltiges Haus zu bauen, zusätzlich bei – und dies, ohne das Erscheinungsbild zu stören, weil dies von Anfang an in die gestalterischen Überlegungen miteinbezogen wurde.
Das räumliche Konzept
Die Bauherrschaft konnten wir sofort von der Idee überzeugen, dass ein ‘zeitgenössisches Walserhaus’ die richtige Antwort für diesen Standort ist.
Es war aber auch klar, dass es wegen der Steilheit des Grundstücks und den Vorgaben wegen der dort gegebenen Gefahrenzone («Blau+») gar nicht einfach werden wird, die räumlichen Bedürfnisse an diesem Standort umzusetzen. In dieser Gefahrenzone ist wegen den kontinuierlich auftretenden Rutschungen ein sog. ‘Hanganschnitt’ von lediglich 5 Metern zulässig. Wer sich schon einmal mit Baugruben in steilen Hanglagen auseinandergesetzt hat, weiss, dass man sehr schnell viel tiefer als 5 Meter in den Hang graben muss.
Dass wir dadurch ‘gezwungen’ waren, mit der Topografie zu arbeiten, sahen wir aber eher als Chance, etwas Tolles daraus zu machen und versuchten, einen dennoch klaren Baukörper mit einem ‘ins Tal zeigenden’ First, wie dies in Walsersiedlungen üblich ist, zu schaffen.
Durch die erforderliche Abtreppung des Sockelbereichs, um den Hanganschnitt möglichst gering zu halten, mussten wir uns für das räumliche Konzept etwas einfallen lassen und haben eine Antwort darin gefunden, dass der Elternschlafbereich im Dachgeschoss und die Kinderzimmer im Untergeschoss untergebracht werden. Der im Geschoss dazwischen liegende Wohn-Essbereich mit der grossen Terrasse mit Pergola verbindet die beiden Zonen miteinander. Um diese Verbindung weiter zu stärken, wurde der über dem Wohnbereich liegende Luftraum so angeordnet, dass dieser als Galerie im Elternbereich funktioniert. Tritt man aus dem Elternzimmer, befindet man sich dadurch gefühlt bereits im Wohngeschoss, obwohl sich dieses ein Geschoss darunter befindet.
So verschmelzen alle Bereiche des Hauses und durch die Anordnung der Zimmer und des Luftraums wird man ständig von der atemberaubenden Aussicht begleitet.
Bereits beim Betreten des Hauses wird man von der Aussicht begrüsst – und auch beim Kochen, beim Entspannen auf dem Sofa oder einem der Balkone, beim Duschen oder Baden und sogar im Bett ist sie ein ständiger Begleiter.
Es war eine tolle Herausforderung und hat uns viel Freude bereitet, dieses Projekt umzusetzen! Das Vertrauen der Bauherrschaft war von Anfang an spürbar und hat wesentlich dazu beigetragen, dass in diesem Projekt die Wünsche der Bauherrschaft mit den architektonischen Ideen vereint werden konnten.
Wir sind der Meinung, dass sowohl die Akzente, die die Bauherrschaft, als auch die gestalterischen Überlegungen unsererseits in diesem Projekt spürbar sind.
Diese Kombination macht dieses Haus aus – und es ist deshalb wie kein anderes. Es ist ein Haus, das mit der Bauherrschaft und dem Ort zu tun hat.
Wir bedanken uns herzlich für die Zusammenarbeit, das entgegengebrachte Vertrauen und diesen tollen Auftrag!
Dieses Projekt wurde von «Vogt Architekten AG» in einer Zusammenarbeit mit Michael Kindle («Michael Kindle Architektur GmbH») als Architekt umgesetzt.
Meine Rolle in diesem Projekt:
Projektleiter
Projektentwurf
Mitarbeit in der Bauprojektsphase inkl. Baugesuch
Mitarbeit in der Ausführungs- und Detailplanung
Fotos: Daniel Schwendener